04. September 2022: Bewohner des Häuslingshauses in grauer Vorzeit

unter diesem Titel hat Wolfgang Ernst, wie angekündigt, seinen Vortrag am 04. September gehalten. Es war ein Vorgriff auf den Tag des offenen Denkmals am 11. September, der in diesem Jahre unter dem Titel „KulturSpur – ein Fall für den Denkmalschutz“ bundesweit veranstaltet wird. Mit der Vorwegnahme sollte den Langwedelern Gelegenheit gegeben werden, die am 11. September lieber den Langwedeler Markt besuchen wollen, am Vortrag teil zu nehmen. Die Ergebnisse sollen hier, wenn auch verkürzt, dargestellt werden. Ein Langfassung ist als Begleitheft verfügbar.

Wolfgang Ernst hat ausgehend von verfügbaren Quellen rekonstruiert, wer die Bewohner des Häuslingshauses in dem Zeitraum vor 1923 waren. Aus dendrochronologischen Untersuchungen war bekannt, dass das Häuslingshaus 1768 erbaut, damals die Ausmaße 10 m x 10 m hatte und 1842 auf 10 m x 12 m in südlicher Richtung erweitert wurde, wobei in diesem Zuge das Häuslingshaus erstmals sein großes Tor erhielt.

Wer eventuell Bewohner in den ersten ca. 60 Jahren waren, musste leider im Dunklen bleiben. Das erste Datum, das plausibel rekonstruiert werden konnte, war um 1833. Damals heiratete der Häusling und Witwer Christoph Feist Margarethe Jentzen. Einleuchtend wurde dargelegt, dass sie als Tochter einer „Bürgerfamilie“ der „Minderstadt“ Langwedel das Häuslingshaus in seiner ursprünglich kleinen Form als Abfindung in die Ehe brachte und dass das Paar dort als Häuslinge lebten. Aus einer Häuserliste kaum erkennbar, dürfte das (kinderlos gebliebene) Ehepaar das kleine Häuslingshaus um 1842/43 zu einer Anbauerstelle mit dem größeren Häuslingshaus (und evtl. „zugekauften Grundstücken“) erweitert haben. Angemerkt wurde, dass als das bestimmende Merkmal für Häuslinge galt, dass sie kein eigenes Land besaßen (ausreichend für Erwirtschaftung der „Ackernahrung“?) und damit von Dienstleistungen für andere ihren Lebensunterhalt verdienen mussten.

Spätestens 1847 muss Margarethe Feist, geb. Jentzen Witwe geworden sein, denn sie heiratete, mindestens nach dem damals obligatorischen Trauerjahr (nur für Frauen nach der Gewohnheit gültig) Dietrich Hinrich Lührs, der einer Häuslingsfamilie aus Morsum entstammte. Diese Informationen finden sich in dem entsprechenden Familienstammbaum, in dem, wie dargelegt, richtigerweise Christoph Feist als Anbauer in Langwedel vermerkt ist. Für Dietrich Hinrich Lührs war eigener Grundbesitz nicht nachweisbar. Das führt zu dem Schluss, dass es Margarethe Feist war, die die Anbauerstelle mit dem Häuslingshaus in die Ehe Lührs brachte. Auf diesem Wege wurde Dietrich Hinrich Lührs also Anbauer. Er und Margarethe bewohnten mit drei Töchtern diese Anbauerstelle. Dietrich Hinrich starb 1857. Die Witwe lebte weiter auf der Anbauerstelle mit zwei überlebenden Töchtern.

In diesem Zusammenhang wurde eine (soziale) „KulturSpur“ erläutert: Nach damaligen Gewohnheitsrecht ging mit der Heirat das Vermögen der Braut in den Besitz des Ehemannes über samt der Zugewinne, die daraus erwuchsen. Enthielt das Vermögen der Braut aber Immobilien, so galt das als „Sondervermögen“, auf das die Ehefrau Rechte geltend machen konnte.

1870 wurde ein Eheversprechen dokumentiert zwischen der ältesten Tochter der Margarethe Lührs, Gesche Margarethe und dem Junggesellen Jacob Lührs, zweitgeborener Sohn eines 1/4 Meiers aus (Verden) Borstel. Darin wird seitens der Mutter ihr ganzes Vermögen der Tochter in die Ehe gegeben, abgesehen von dem Teil, der als Abfindung für die zweite Tochter vorbehalten blieb (zwei „zugekaufte Grundstücke“). Das war nachweisbar das Häuslingshaus mit Garten. Gesche Margarete und ihre Mutter lebten fortan im Haushalt des Jacob Lührs, der sich anscheinend in Borstel befand.

Auch hier konnten soziale Kulturspuren herausgearbeitet werden: Frauen waren im 19. Jahrhundert nicht gleichberechtigt. Bei einem Handel wie in dem Eheversprechen konnten die Tochter Gesche Margarethe und damit auch die Witwe Margarethe Lührs nicht ohne einen männlichen Beistand entscheiden. Im vorliegenden Falle war das der Häusling Christoph Lührs aus Mahndorf als Vormund der Tochter. Außerdem wurde bei der Übergabe von einer „gutsherrenfreie Anbauerstelle“ gesprochen. Offenbar gab es auch noch gutsherrengebundene Stellen. In einem der untersuchten Dokumente (von 1843) hat sich das bestätigt.

1873 wurde, dokumentiert durch einen Kaufvertrag, das Häuslingshaus mit seinem Garten vom Anbauern Jacob Lührs an den Häusling Diedrich Eggers aus Felde Kreis Syke verkauft. Er zog damals mit seiner Frau Margarete und sieben Kindern in das erworbene Wohnhaus und lebte dort bis er, seit 1917 Witwer, 1923 starb. Seine letzte Zeit verbrachte er allerdings im Hause des Stellmachermeister Hinrich Haase und dessen Frau Metha, geb. Eggers. In welcher Weise der Lebensunterhalt erwirtschaftet wurde, konnte nicht eindeutig ermittelt werden. Der Garten und eine notwendigerweise kleine Viehhaltung dürften kaum ausgereicht haben, aber neben dem sozialen Stand Anbauer war er auch von Beruf Maurer. Das könnte das Problem zumindest gemindert haben.